Chronik BVerfG - Zusammenfassungen |
01.10.05 |
Gegenstand dieser Chronik ist die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1994. Vor allem die zahlreichen Verfassungsbeschwerden führten dazu, daß der Schwerpunkt dieser Rechtsprechung auf dem Gebiet der Grundrechte liegt. Hervorzuheben sind hier die Entscheidungen zur Strafbarkeit des Umgangs mit der Droge Cannabis sowie zur Inhaltskontrolle von Bürgschaftsverträgen (beide betreffend die allgemeine Handlungsfreiheit), zur strafrechtlichen Verfolgung des Tucholsky-Zitates "Soldaten sind Mörder" (betreffend die Meinungsfreiheit), zum Recht des ausländischen Wohnungsmieters, eine Parabolantenne zu installieren (betreffend die Informationsfreiheit), sowie zur Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch Rundfunkgebühren (betreffend die Rundfunkfreiheit). Andere Entscheidungen hatten die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung und die Finanzierung von Staatsaufgaben durch Sonderabgaben zum Gegenstand. Das mit Spannung erwartete Urteil
zur Beteiligung der deutschen Streitkräfte an friedenssichernden Aktionen der Vereinten Nationen, der NATO und der WEU brachte schließlich Klarheit darüber, daß solche Einsätze nach dem Grundgesetz zulässig sind, aber der Zustimmung des Bundestages bedürfen. - Insgesamt wurde die Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik allerdings weniger durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als durch die im Herbst 1994 abgeschlossene Verfassungsreform geprägt.Gegenstand dieser Chronik ist die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1995. Deren Schwerpunkt liegt noch stärker als im letzten Jahr auf dem Gebiet der Grundrechte. Von zeitgeschichtlicher Bedeutung sind die Entscheidungen zur Verhandlungsfähigkeit des früheren ostdeutschen Politikers Erich Mielke im Strafverfahren (betreffend die Menschenwürde) und zur Strafverfolgung ostdeutscher Spione nach der deutschen Wiedervereinigung (betreffend die Freiheit der Person). Hervorzuheben sind außerdem die Entscheidungen zur Vermögen- und Erbschaftsteuer (betreffend das Eigentum, das Erbrecht und den allgemeinen Gleichheitssatz), zum Feuerwehrbeitrag (betreffend die Gleichberechtigung von Männern und Frauen und das Verbot der Differenzierung nach dem Geschlecht), zum Elternrecht der Väter nichtehelicher Kinder, zu den staatlichen Lohnersatzleistungen bei Arbeitskämpfen mit Fernwirkung (betreffend die Koalitionsfreiheit) und zur Strafbarkeit von Sitzblockaden (betreffend den Grundsatz "nulla poena sine lege"). Eine weitere Entscheidung hatte den aus dem Bundesstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens zum Gegenstand, der die Bundesregierung verpflichtet, im Rahmen ihrer Mitwirkung in den Organen der Europäischen Gemeinschaften auch die mitgliedstaatlichen Kompetenzen, die innerstaatlich den Ländern zugewiesen sind, gegen drohende Kompetenzübergriffe der Gemeinschaften zu verteidigen. - Für erhebliche politische Aufregung sorgte der Kruzifix-Beschluß. Danach darf der Staat nicht verbindlich vorschreiben, daß in den öffentlichen Schulen gegen den Willen nichtchristlicher Schüler oder Eltern in allen Klassenzimmern Kreuze angebracht werden. Im religiös-weltanschaulich neutralen Verfassungsstaat des Grundgesetzes schützt das Grundrecht der Glaubensfreiheit den einzelnen Schüler davor, zwangsweise und unausweichlich mit staatlicher religiöser Symbolik konfrontiert zu werden.
Gegenstand dieser Chronik ist die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1996. Diese hat weniger politische Aufregung verursacht als die Entscheidungen von 1995, ist aber in dogmatischer Hinsicht ergiebig. Das trifft vor allem für die Urteile zum neuen Asylrecht zu. Das Bundesverfassungsgericht entwickelte dort eine komplette Dogmatik für das neugestaltete Grundrecht auf Asyl. Außerdem äußerte es sich zu den Grenzen der Verfassungsänderung, zum Begriff der Freiheitsentziehung, zur Garantie eines effektiven Rechtsschutzes gegen die öffentliche Gewalt und zur Funktion der Verfassungsbeschwerde. In der Entscheidung zur Fachplanung durch den Gesetzgeber leistete es einen Beitrag zur Dogmatik der Gewaltenteilung. Andere Entscheidungen betrafen die Koalitionsfreiheit (hier: das Problem des Eingriffs in die Tarifautonomie durch Regelung von Sachfragen durch den Gesetzgeber), die Berufsfreiheit (hier: Werbebeschränkungen für Apotheker), Gleichheitsfragen, das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung (hier: die Benachteiligung durch Überweisung auf eine Sonderschule) und den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten. Besonders hervorzuheben, da von großem verfassungsrechtlichen, rechtsphilosophischen und zeitgeschichtlichen Interesse ist schließlich die Entscheidung zu den "Mauerschützen"-Prozessen, das heißt zur strafrechtlichen Verfolgung der Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik. Hier kommt der unausweichliche Konflikt des Grundsatzes "nulla poena sine lege" mit dem rechtsstaatlichen Gebot der materiellen Gerechtigkeit bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit zur Sprache.
Gegenstand dieser Chronik ist die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1997. Hervorzuheben sind zwei wichtige Entscheidungen zum Wahlrecht. Im einen Falle ging es um die Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Überhangmandate im Bundestag. Diese entstehen dann, wenn eine politische Partei nach dem Ergebnis der Erststimmen (Personenwahl nach Wahlkreisen) mehr Sitze erzielt, als ihr nach dem Ergebnis der Zweitstimmen (Listenwahl) zustehen würden. Im anderen Falle war eine Regelung zu beurteilen, die den Einzug einer Partei in den Bundestag auch dann zuläßt, wenn die Partei weniger als die grundsätzlich erforderlichen fünf Prozent der Zweitstimmen erzielt, aber mit den Erststimmen der Wähler drei Wahlkreismandate errringt. In beiden Fällen sah das Bundesverfassungsgericht die Gleichheit der Wahl nicht verletzt. In einer anderen Entscheidung gelangte es nach einer internen Auseinandersetzung zu dem Ergebnis, daß es nicht gegen die Menschenwürde verstößt, wenn in einem Schadensersatzprozeß wegen fehlgeschlagener Sterilisation die Unterhaltskosten für das ungewollte Kind als Schaden angerechnet werden. - Raucher werden sich möglicherweise für eine Entscheidung interessieren, in der das Bundesverfassungsgericht erklärte, warum die obligatorischen Warnhinweise auf den Tabak- und Zigarettenpackungen weder die Meinungsfreiheit noch die Berufsfreiheit der Tabakunternehmen verletzen. Von besonderem intellektuellem Anspruch ist schließlich die jetzt entschiedene Frage, inwieweit die Verfassungsgerichte der Länder im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nach Landesrecht überprüfen dürfen, ob die Gerichte des Landes bei der Anwendung des vom Bund erlassenen Prozeßrechts die Grundrechte aus den Landesverfassungen beachtet haben. Weitere Entscheidungen betreffen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf effektiven Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt.
Gegenstand dieser Chronik ist die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1998. Diese hat weniger Aufsehen erregt und war dogmatisch weniger ergiebig als in den vergangenen Jahren, interessiert aber in einigen Fällen wegen der zugrundeliegenden Sachverhalte. Zumeist wurde lediglich die vorhandene Dogmatik verfestigt oder geringfügig verfeinert oder auch nur konsequent auf neue Fragestellungen angewandt. Hervorzuheben ist die Entscheidung zur Rechtschreibreform. Hier stellte das Bundesverfassungsgericht klar, daß der Staat über den Unterricht in den Schulen die Rechtschreibung in der deutschen Sprache beeinflussen und sogar verändern darf, und daß für die Einführung neuer Rechtschreibregeln in den Schulen kein Gesetz erforderlich ist. Wichtig waren auch die Entscheidungen zur Entlastung der Familien bei der Einkommensteuer. Dabei ging es um die steuerliche Berücksichtigung des Aufwandes für die Kinderbetreuung und -erziehung sowie um die Höhe des von der Einkommensteuer zu verschonenden Existenzminimums der Familien. In einem anderen Fall unterstrich das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtliche Bedeutung des Kindeswohls bei der Anwendung des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung in den Fällen, in denen die getrennt lebenden, aus verschiedenen Staaten stammenden Eltern ihr Kind wechselseitig in den jeweils anderen Staat entführt haben. Außerdem klärte das Gericht, daß das gesetzliche Recht der Fernsehsender zur Kurzberichterstattung im Fernsehen über alle wichtigen öffentlichen Veranstaltungen (wie z.B. die Spiele der Fußball-Bundesliga) den gewerblichen Veranstaltern und anderen beruflich Betroffenen nur gegen Entgelt zugemutet werden darf. Von Bedeutung sind ferner die Entscheidungen zum bayerischen Sonderweg beim Schutz des ungeborenen Lebens und zur kommunalen Verpackungsteuer. Sie betreffen Fragen der bundesstaatlichen Kompetenzordnung. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Währungsunion keine Grundrechte deutscher Bürger verletzt.
Gegenstand dieser Chronik ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Jahren 1999 und 2000. Diese hat eine Reihe von Ergänzungen und sogar Korrekturen der Verfassungsrechtsdogmatik gebracht. Neue Entwicklungen zeigen sich etwa beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Schutz der Privatsphäre von Prominenten), bei der Pressefreiheit (Anzeigenfreiheit und Schockwerbung) und im Staatskirchenrecht (Voraussetzungen für die Verleihung des Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an eine Religionsgemeinschaft). Eine Entscheidung zu den Grenzen des Denkmalschutzes korrigierte das Verständnis der Rechtsfigur der Inhalts- und Schrankenbestimmung beim Eigentumsgrundrecht. Eine mit Spannung erwartete Entscheidung zur innerstaatlichen Anwendbarkeit der Europäischen Bananenmarktordnung klärte überraschend, unter welchen Voraussetzungen das Bundesverfassungsgericht Grundrechtsschutz gegen Hoheitsakte der Europäischen Union gewähren darf. Sie knüpfte vorbehaltlos an die Solange II-Entscheidung von 1986 an, sah darin aber kein Abweichen vom Maastricht-Urteil von 1993. Hervorzuheben ist schließlich das Urteil zum bundesstaatlichen Finanzausgleich, das für den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Ausgleich der finanziellen Interessen von Bund und Ländern ein Gesetz neuen Typs, das vorgeschaltete "Maßstäbegesetz", verlangte.
Gegenstand dieser Chronik ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in den Jahren 2001 und 2002. Diese betraf interessante dogmatische Fragestellungen einzelner Grundrechte und der Gesetzgebung des Bundes. Hervorzuheben sind die Entscheidungen zur Schächtgenehmigung für ausländische muslimische Metzger (betreffend die allgemeine Handlungsfreiheit und die Glaubensfreiheit), zur Ton- und Fernsehberichterstattung aus Gerichtsverhandlungen (betreffend die Informationsfreiheit und die Rundfunkfreiheit), zur eingetragenen Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare (betreffend den Schutz der Ehe) und zum Gesetzgebungsrecht des Bundes bei der konkurrierenden Gesetzgebung (betreffend die Anwendung einer Norm mit der gleichen Funktion wie das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union). Auffallend häufig fügten Richter den wichtigeren Entscheidungen abweichende Meinungen hinzu. Außerdem weisen einige Entscheidungen schwerwiegende methodische Mängel auf. In einem Fall verneinte das Gericht einen Grundrechtseingriff, prüfte dann aber eine Verletzung objektiven Verfassungsrechts, obwohl dies für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unerheblich war.
Gegenstand dieser Chronik ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2003. Diese war aus dogmatischer Sicht insgesamt wenig ergiebig. Hervorzuheben sind die Entscheidungen zum Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die Telefonverbindungsdaten von Journalisten (betreffend die Grundrechtsträgerschaft öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, das Fernmeldegeheimnis, die Presse- und die Rundfunkfreiheit) und zur rechtlichen Stellung des biologischen aber nicht ehelichen Vaters (betreffend den Schutz der Familie und das Elternrecht). Mit seinem Urteil zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen traf das Gericht eine vielbeachtete aber in mancher Hinsicht unklare Entscheidung zu einem auch in anderen europäischen Staaten aktuellen gesellschaftlichen Thema. Ein Parteiverbotsverfahren gegen eine rechtsextreme Partei endete mit seiner Einstellung, nachdem bekannt geworden war, daß die Partei von Verbindungspersonen und Informanten der Verfassungsschutzbehörden unterminiert war.