Fall 5: Schüsse gegen rechte Gewalt (Sachverhalt) 

14.11.03

Aus:  Repetitorium im Verwaltungsrecht II  WS 2003/04

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Ein beschaulicher Sonntagnachmittag in einer niedersächsischen Gemeinde. Plötzlich hallen laute Beschimpfungen, ausländerfeindliche Parolen und Morddrohungen durch die Innenstadt. Polizeivollzugsbeamter P begibt sich zur Quelle des Lärms, einem nach unten durch eine Mauer abgesetzten, höhergelegenen Platz. Als er sich ihm von unten her nähert, erkennt er eine Gruppe junger Leute, die schon mehrmals durch Gewalttätigkeiten aufgefallen ist und jetzt einen am Boden liegenden, blutüberströmten Mann mißhandelt. P ruft lautstark "Aufhören" und gibt einen Warnschuß aus seiner Dienstpistole ab, doch aus der Entfernung und inmitten des von ihnen erzeugten Lärms können die jungen Leute ihn nicht wahrnehmen. Wenige Sekunden später treten einige von ihnen beiseite, während zwei Männer und eine Frau mit schweren Eisenstangen zu einem kräftigen Schlag auf den Verletzten ausholen und "Jetzt machen wir die Sau fertig!" rufen.

P erkennt, daß er nicht schnell genug auf den Platz gelangen kann, um die drohenden Schläge mit den Eisenstangen zu unterbinden. In der Befürchtung, daß die Angreifer ihr Opfer töten könnten, gibt er drei gezielte Schüsse aus seiner Dienstpistole ab. Er weiß, daß er exakt genug schießen kann, um das Opfer und die zur Seite getretenen Beteiligten nicht zu gefährden. Er weiß allerdings auch, daß er aus der gegebenen Entfernung die zum Schlage ausholenden Personen nicht gezielt angriffsunfähig machen kann, daß seine Schüsse vielmehr mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich sein werden. 

Die Schüsse verletzen Angreifer A tödlich und Angreifer B sowie Angreiferin C lebensgefährlich. Später stellt sich heraus, daß die Angreifer dem ausländischen Mitbürger "eine Lehre erteilen", ihn aber nicht töten wollten. Das Opfer war erheblich aber nicht schwer verletzt; sein blutüberströmter Eindruck war durch starkes Nasenbluten hervorgerufen worden. Die Schläge sollten ihn nur an den Beinen treffen - so wie bei einem anderen Opfer, das eine halbe Stunde später in einem anderen Stadtteil entdeckt und mit gebrochenen Beinen ins Krankenhaus eingeliefert wird.

C erhebt drei Wochen später Klage beim Verwaltungsgericht mit dem Antrag, festzustellen, daß der auf sie gerichtete Schuß rechtswidrig gewesen sei. Sie will damit ihre Chancen in einem geplanten Amtshaftungsprozeß verbessern. Außerdem erhofft sie sich eine Korrektur ihres schlechten Rufes in der Öffentlichkeit. Sie ist der Ansicht, P habe keinesfalls auf sie schießen dürfen, ohne sich vorher zu ihr zu begeben, sie anzusprechen und ihr außerdem den Schußwaffengebrauch anzudrohen. Ferner sei der Schuß nicht gerechtfertigt gewesen, weil das Leben des Opfers nicht wirklich in Gefahr gewesen sei. Und selbst dann hätte P - wenn überhaupt - zunächst nur auf die Männer schießen dürfen, denn er hätte damit rechnen müssen, daß sie allein als Frau das Opfer gar nicht so schnell töten könnte, daß er sich nicht in der Zwischenzeit nähern und ggf. aus der Nähe einen weniger gefährlichen, gezielten Schuß auf ihre Arme oder Beine abgeben könnte. Im übrigen seien der Polizei in Niedersachsen Schüsse mit tödlichem Risiko von vornherein versagt, denn der niedersächsische Gesetzgeber habe bei der Reform des Polizeirechts in den neunziger Jahren den zuvor gesetzlich geregelten Todesschuß abgeschafft.

Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Zusatzfrage: Der Verletzte (V) ist über die Klage der C empört. Er ist der Auffassung, P habe zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht, die schließlich auch gegenüber den ausländischen Mitbürgern bestände, nicht nur schießen dürfen sondern auch müssen. P habe nur insoweit Rücksicht auf das Leben der Angreifer nehmen dürfen, als dies in der gegebenen Situation mit einem effektiven Schutze des Lebens des V vereinbar erschien. Hat V Recht?

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