Chronik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - 1997 (1) |
01.10.05 |
(= ERPL/REDP 10 [1998], S. 1181 ff.) |
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[II. Grundrechte] [III. Staatsorganisation (1997-2)]
Das Bundesverfassungsgericht hat auch 1997 wieder ein beachtliches Arbeitspensum bewältigt. Die Zahl der Entscheidungen liegt knapp unter der vom Vorjahr. Die Gesamtstatistik des Bundesverfassungsgerichts weist für das Geschäftsjahr 1997 5.078 neue Verfahren und 5.006 Erledigungen aus (darunter 4.575 Erledigungen durch Entscheidung). In erster Linie haben auch dieses Jahr wieder Verfassungsbeschwerden das Gericht beschäftigt (4.496 Entscheidungen). Ihnen folgen mit großem Abstand die auf Richtervorlagen zurückgehenden Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, 18 Entscheidungen).
Angesichts der weiterhin hohen Zahl der Verfassungsbeschwerden bleibt die Diskussion über die Reform dieses Rechtsbehelfs aktuell.[1] Mit der Vorlage des Abschlußberichtes der 1996 vom Bundesminister der Justiz einberufenen Kommission "Entlastung des Bundesverfassungsgerichts" im Dezember 1997 hat sie ein neues Stadium erreicht. Der Abschlußbericht[2] hebt hervor, daß die stark gestiegene Arbeitsbelastung bereits die Funktionsfähigkeit des Gerichts gefährde. Damit werde die mit dem Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention (= EMRK) auch völkerrechtlich übernommene Verpflichtung berührt, das staatliche Gerichtswesen so zu organisieren, daß die Gerichte Rechtsstreitigkeiten in angemessener Zeit erledigen können.[3] Die Kommission empfiehlt als zentrale Entlastungsmaßnahme, die Annahme von Verfassungsbeschwerden in Anlehnung an die Verfahren vor dem amerikanischen Supreme Court in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts zu stellen. Die Auswahlkompetenz soll ihm die Möglichkeit verschaffen, sein Arbeitsprogramm stärker als bisher selbst festzulegen. Über die Annahme zur Entscheidung soll der Senat befinden; die Verfassungsbeschwerde soll angenommen sein, wenn sich drei Senatsmitglieder dafür aussprechen.[4] - Ob und wann diese Vorschläge realisiert werden, bleibt allerdings nach dem Regierungswechsel vom Herbst 1998 vorerst abzuwarten.
Unter den Entscheidungen von 1997[5] sind die beiden wichtigen Urteile zum Wahlrecht hervorzuheben. Hier mußte das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Überhangmandate im Bundestag (eine Besonderheit des deutschen Wahlrechts) und die sogenannte Grundmandatsklausel (eine Relativierung der Fünfprozenthürde für den Einzug ins Parlament) mit dem Grundsatz der gleichen Wahl zu vereinbaren sind. Ferner dürfte die Frage der Anrechenbarkeit des Unterhaltsaufwandes für ungewollte Kinder als Schadensposten auf Interesse stoßen, die die Menschenwürde berührt und innerhalb des Gerichts eine Auseinandersetzung hervorgerufen hat. Für Raucher mag die Entscheidung zu den obligatorischen Warnhinweisen auf Tabak- und Zigarettenpackungen lehrreich sein. Von besonderem intellektuellem Anspruch ist das Thema der landesverfassungsgerichtlichen Kontrolle der Anwendung des vom Bund erlassenen Prozeßrechts durch die Gerichte des Landes am Maßstab der Grundrechte aus den Landesverfassungen.
Erwähnenswert ist schließlich auch ein Beschluß vom 10. Juni 1997 zur Reichweite der fortwirkenden diplomatischen Immunität.[6] Er wird hier hier nicht näher behandelt, weil er im Schwerpunkt keine verfassungsrechtlichen, sondern völkerrechtliche (Vor-) Fragen betrifft. Das Bundesverfassungsgericht gelangte in dieser Entscheidung nach ausführlicher Prüfung[7] zu dem Ergebnis, daß weder Drittstaaten noch Nachfolgestaaten des Empfangsstaates eines Botschafters (hier die Bundesrepublik als früherer Drittstaat und heutiger Nachfolger der mit der deutschen Wiedervereinigung untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik) nach Völkergewohnheitsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts an die fortwirkende diplomatische Immunität ratione materiae gebunden sind, die nach Art. 39 Abs. 2 S. 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen von 1961 die Empfangsstaaten bindet. Aus diesem Grunde konnte der ehemalige DDR-Botschafter eines arabischen Staates strafrechtlich verfolgt werden, der zugelassen hatte, daß Terroristen in der Ostberliner Botschaft dieses Staates zwischengelagerten Sprengstoff wieder an sich nahmen und damit in Westberlin einen Sprengstoffanschlag verübten.
[I. Vorbemerkung] [III. Staatsorganisation (1997-2)]
1) Grundrechtsschutz durch Landesverfassungsgerichte
In seinem Beschluß vom 15. Oktober 1997[8] zur Zulässigkeit der landesverfassungsgerichtlichen Kontrolle der Anwendung des vom Bund erlassenen Prozeßrechts durch die Gerichte des Landes am Maßstab der Grundrechte aus den Landesverfassungen mußte sich das Bundesverfassungsgericht mit dem anspruchsvollen Thema der doppelten Grundrechtsgewährleistung im Bundesstaat auseinandersetzen. Grundrechte sind in Deutschland nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in einigen Landesverfassungen geregelt. Diese Landesgrundrechte verdanken ihre Existenz der Wahrnehmung der gliedstaatlichen Verfassungsautonomie durch die Länder. Sie stehen mit den Bundesgrundrechten nicht in Zusammenhang. Sie binden nur die Hoheitsträger des Landes bei der Ausübung von Landesstaatsgewalt. Ihre Verletzung kann nicht vor dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht werden, in manchen Ländern aber mit einer landesrechtlichen Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht.
Der Einfluß der Landesgrundrechte ist begrenzt, denn sobald sie mit einer Rechtsnorm des Bundes kollidieren, verlieren sie wie alles Landesrecht nach der allgemeinen bundesstaatlichen Kollisionsregel "Bundesrecht bricht Landesrecht" (Art. 31 GG) innerhalb des Anwendungsbereiches der Bundesnorm jede rechtliche Wirkung. Dabei ist es gleich, um welche Art von Rechtsnormen es sich handelt; auch das Verfassungsrecht der Länder muß also gegebenenfalls hinter einem einfachen Bundesgesetz oder sogar bundesrechtlichem Richterrecht zurückstehen. Für die wichtigen Bereiche des Zivilrechts, Strafrechts, Zivilprozeßrechts und Strafprozeßrechts, die allesamt bundesrechtlich geregelt sind (vgl. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), spielten die Landesgrundrechte daher bislang praktisch keine Rolle. Allerdings bestimmt das Grundgesetz in einer unglücklich formulierten, in ihrer Bedeutung und Auslegung umstrittenen besonderen Klausel zu den Landesgrundrechten (Art. 142 GG), daß sie jedenfalls insoweit in Kraft bleiben, als sie mit den Bundesgrundrechten[9] übereinstimmen. Das bedeutet nicht, daß sie zum Prüfungsmaßstab für die Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen würden; der Bundesgesetzgeber hat lediglich die Bundesverfassung zu beachten.[10] Ebensowenig dürfen sich die Gerichte in den Ländern unter Berufung auf die Landesgrundrechte über die Rechtsnormen des Bundes hinwegsetzen, denn Art. 142 GG betrifft nur das Verhältnis zwischen Bundes- und Landesgrundrechten und will ungeachtet seines insofern mißverständlichen Wortlautes nicht etwa den Vorrang des einfachen Bundesrechts vor den Landesgrundrechten beseitigen. Es stellt sich aber die Frage, ob die Landesgerichte bei der Anwendung des Bundesrechts, sofern dieses ihnen eigene Entscheidungsspielräume läßt, die Landesgrundrechte zusätzlich zum Bundesrecht zu beachten haben. Damit einher geht die Frage, ob die Landesverfassungsgerichte befugt sind (bzw. nach dem Landesrecht befugt sein können), im Rahmen der bei ihnen anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren zu überprüfen, ob die Landesgrundrechte bei der Anwendung des Bundesrechts durch die Landesgerichte hinreichend beachtet worden sind. Eine vieldiskutierte[11] Teilfrage davon, nämlich die nach der Überprüfbarkeit der Anwendung des Prozeßrechts, beschäftigte nun das Bundesverfassungsgericht.[12] Der Hessische Staatsgerichtshof hatte sie in mehreren Entscheidungen negativ beantwortet.[13] Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen wollte davon abweichen und prüfen, ob ein sächsisches Zivilgericht bei der Anwendung des Zivilprozeßrechts das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 78 Abs. 2 Sächsische Verfassung) verletzt hatte. Er holte daher, wie in Art. 100 Abs. 3 GG vorgeschrieben, mit einer Divergenzvorlage[14] die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein.
Das Bundesverfassungsgericht kam zu folgendem Ergebnis: Das Grundgesetz hindert die Landesverfassungsgerichte nicht daran, die Anwendung des Bundesprozeßrechts (nicht das Prozeßrecht selbst!)[15] auf ihre Vereinbarkeit mit den Landesgrundrechten zu überprüfen, sofern die Landesgrundrechte den gleichen Inhalt wie die entsprechenden Bundesgrundrechte haben. Dabei muß allerdings die Beschwer des Bürgers ausschließlich auf der Entscheidung eines Gerichtes des Landes - und nicht auch des Bundes - beruhen. Eine Verfassungsbeschwerde vor dem Landesverfassungsgericht kommt danach nicht in Betracht, wenn ein Bundesgericht die Entscheidung des Landesgerichts bestätigt oder durch Zurückweisung unter Bindung an die von ihm aufgestellten Maßstäbe vorgeprägt hat.[16] Außerdem darf der Landesgesetzgeber die Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht erst nach Erschöpfung des bundesrechtlich geregelten Rechtsweges zulassen, da erst dann feststeht, daß es zum Schutze der Grundrechte unerläßlich ist, die fachgerichtliche Entscheidung aufzuheben. Die Aufhebung der Entscheidung eines Fachgerichts durch ein Landesverfassungsgericht berührt nämlich die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Regelung von Rechts- und Bestandskraft gerichtlicher Entscheidungen. Das Bundesverfassungsgericht sah hier einen "Grenzbereich von Bundes- und Landeskompetenz", in dem für den Landesgesetzgeber nur insoweit Raum bleibt, als seine Regelung zur Erreichung des Zweckes der Landesverfassungsbeschwerde, die Grundrechte effektiv zu schützen, erforderlich ist.[17]
Was die Geltung der Landesgrundrechte neben dem Bundesrecht betrifft, so unterschied das Bundesverfassungsgericht zwischen einer "prinzipiellen" Geltung, die sich dann ergibt, wenn sich das Landesgrundrecht und das entsprechende Bundesgrundrecht nicht nach Schutzbereich oder Schranken widersprechen (Widerspruchsfreiheit zwischen den Grundrechten), und der Geltung im konkreten Fall. Wenn Art. 142 GG ein Landesgrundrecht "prinzipiell" in Kraft läßt, bedeutet dies nur, daß es nicht schon wegen Unvereinbarkeit mit einem Bundesgrundrecht von vornherein ohne Wirkung ist. Es kann aber immer noch im konkreten Falle nach Art. 31 GG gebrochen werden, weil sein Regelungsgehalt mit einfachem Bundesrecht kollidiert. Eine derartige Kollision ist indessen ausgeschlossen, wenn Bundes- und Landesgrundrecht einen bestimmten Gegenstand in gleichem Sinne und mit gleichem Inhalt regeln. Solchermaßen inhaltsgleiche Grundrechte gestalten auch die Rechtslage im konkreten Fall widerspruchsfrei; Art. 31 GG steht dann der Geltung des Landesgrundrechts nicht entgegen.[18]
Das Bundesverfassungsgericht lieferte gleich eine Prüfungsanleitung mit, an der sich die Landesverfassungsgerichte bei der Kontrolle der landesgerichtlichen Anwendung von Bundesprozeßrecht orientieren sollen. Danach ist eine mehrstufige Prüfung erforderlich. Zuerst muß festgestellt werden, daß überhaupt eine Verletzung des Landesgrundrechts in Betracht kommt. Dann ist zu untersuchen, ob dieses Landesgrundrecht Prüfungsmaßstab im Landesverfassungsbeschwerdeverfahren ist. Da dafür Inhaltsgleichheit mit einem Bundesgrundrecht im konkreten Fall erforderlich ist, muß zunächst inzidenter geprüft werden, zu welchem Ergebnis die Anwendung des Grundgesetzes im Ausgangsfall führen mußte. Anschließend muß das Landesverfassungsgericht entscheiden, ob das Landesverfassungsrecht zu demselben Ergebnis wie das Grundgesetz führen würde. Bejaht es dies, wird das Gesamtergebnis der Prüfung durch die Rechtslage nach dem Grundgesetz vorgegeben. Verneint es dies, ist die landesverfassungsrechtliche Gewährleistung nicht inhaltsgleich und daher kein tauglicher Prüfungsmaßstab. Die landesrechtliche Verfassungsbeschwerde mit der Rüge ihrer Verletzung ist dann unzulässig.[19]
Soweit das Landesverfassungsgericht im Rahmen dieser Prüfung das Grundgesetz auslegen muß, ist es wie jedes andere Staatsorgan an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Will es von ihr abweichen, muß es zuvor mit einer Divergenzvorlage nach Art. 100 Abs. 3 GG auf eine Änderung der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht selbst hinwirken.[20] Zwar ist es theoretisch frei, das Landesgrundrecht anders auszulegen und damit zu einem anderen Ergebnis zu gelangen, doch ginge das Landesgrundrecht damit automatisch als zulässiger Prüfungsmaßstab verloren. Darin zeigt sich die Problematik des vom Bundesverfassungsgericht gewählten Kriteriums der Inhaltsgleichheit der Grundrechte: Wenn die Landesverfassungsgerichte auch offiziell die Verletzung bestimmter Landesgrundrechte prüfen, so ist die ihnen zugestandene Aufgabe doch der Sache nach nichts anderes als ein verkleideter Schutz der Grundrechte des Grundgesetzes. Die vom Bundesverfassungsgericht betriebene "Parallelisierung" der bundes- und landesverfassungsgerichtlichen Grundrechts-Rechtsprechung[21] bewahrt ein einheitliches Grundrechtsdenken, verengt aber auch die Möglichkeiten einer eigenständigen Entwicklung der Verfassungsrechtsprechung auf Landesebene. Von einer Stärkung der Landesverfassungsgerichtsbarkeit kann deswegen letztlich nicht gesprochen werden. Eher schon von einer beabsichtigten Entlastung des Bundesverfassungsgerichts, wie sie in ersten Stellungnahmen in der Literatur als wichtiges Motiv der pragmatisch orientierten Entscheidung vermutet wird.[22] Denn die meisten der Verfassungsbeschwerden, die jetzt vermehrt vor den Landesverfassungsgerichten zu erwarten sind, würden sonst mit großer Wahrscheinlichkeit, gestützt auf das entsprechende Bundesgrundrecht, vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben.
2) Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG)
Für Verwirrung sorgte eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts, die vorläufig mit einem Beschluß des Ersten Senates vom 12. November 1997[23] ihren Abschluß gefunden hat. Sie betrifft die Frage, ob die Qualifizierung des Unterhaltsaufwandes für ein ungewolltes Kind als Schaden und die Zuerkennung von Schmerzensgeld für eine ungewollte Schwangerschaft im Rahmen der Arzthaftung mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar ist. In seinem Beschluß von 1997 bestätigte der Erste Senat die Rechtsprechung der Zivilgerichte als verfassungsgemäß, nach der die Schadensersatzpflicht des Arztes nach fehlgeschlagener Sterilisation oder fehlerhafter Beratung über das Risiko genetisch bedingter Behinderungen des Kindes auch den Ersatz der Unterhaltsaufwendungen für das Kind sowie die Zahlung von Schmerzensgeld für die erlittene Schwangerschaft und Geburt umfaßt. Damit stellte er sich gegen die Rechtsauffassung des Zweiten Senates, der 1993 in seinem Urteil zum Schwangerschaftsabbruch[24] an einer weniger wichtigen Stelle aber unter Aufnahme der Aussage in die amtlichen Leitsätze erklärt hatte, die aus Art. 1 Abs. 1 GG folgende Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen; die einschlägige Rechtsprechung der Zivilgerichte sei insofern überprüfungsbedürftig.[25] Der Zweite Senat hatte eine abweichende Rechtsauffassung des Ersten Senates befürchtet und aus eigener Initiative in einem verfahrenslosen Beschluß vom 22. Oktober 1997[26] eine Stellungnahme abgegeben. Dort hatte er eine Entscheidung des Plenums des Bundesverfassungsgerichts verlangt. Das Plenum muß nach § 16 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (= BVerfGG) immer dann entscheiden, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will, wobei nach ganz herrschender Meinung[27] allerdings vorauszusetzen ist, daß es sich bei letzterer nicht um ein obiter dictum, sondern eine die Entscheidung tragende Rechtsauffassung handelt. Dieses war nach Ansicht des Zweiten Senates der Fall. Danach bildete die Auffassung, daß der Kindesunterhalt nicht als Schaden verstanden werden dürfe, ein nicht herauslösbares Element des Gesamtmaßstabes, anhand dessen seinerzeit die Verfassungsmäßigkeit des deutschen Lösungsweges eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs nach sozialer Beratung geprüft worden war.[28] Der Bundesgerichtshof hatte dies schon vorher in Übereinstimmung mit der fast einhelligen Ansicht in der Literatur[29] anders beurteilt und an seiner Rechtsprechung festgehalten.[30] Auch der Erste Senat konnte in den betreffenden Passagen keine tragenden Gründe erblicken und unterzog die verfassungsrechtliche Frage daher einer erneuten Prüfung, bei der er dann zum gegensätzlichen Ergebnis gelangte.[31] Ob sich seine Linie auf Dauer durchsetzen wird, läßt sich nicht vorhersagen, denn es muß damit gerechnet werden, daß der Zweite Senat in irgendeinem Zusammenhang wieder einmal mit der Frage befaßt sein wird und dann eine Plenarentscheidung nach § 16 BVerfGG herbeiführt.
Der Erste Senat klärte in seinem Beschluß vom 12. November 1997 zunächst, daß die Zivilgerichte mit der Qualifizierung des Unterhaltsaufwandes als Schaden und der Zuerkennung von Schmerzensgeld für Schwangerschaft und Geburt nicht die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten haben, die sich aus Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG (Grundsatz der Gewaltenteilung) und Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht) ergeben.[32] Art. 20 Abs. 2 und 3 GG sind verletzt, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben und damit Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind; insbesondere darf sich der Richter nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Die Fortbildung des Arzthaftungsrechts stößt insofern aber nicht auf Bedenken, denn die Entscheidungen beruhen auf hergebrachten Grundsätzen zur Vertragshaftung im Arztrecht, die lediglich auf neue Fälle der ärztlichen Berufstätigkeit erstreckt werden, bzw. bewegen sich, soweit sie das Deliktsrecht betreffen, im Rahmen der herkömmlichen zivilrechtlichen Dogmatik.[33]
Die Fortbildung des Arzthaftungsrechts steht nach Ansicht des Ersten Senates nicht im Widerspruch zur Menschenwürde. Ebenso wie bei der Auslegung von Generalklauseln sind auch bei der Rechtsfortbildung die Wertentscheidungen der Verfassung, wie sie im Grundrechtskatalog zum Ausdruck kommen, besonders zu berücksichtigen. Dabei kann im Zivilprozeß allerdings auf beiden Seiten der Schutzgehalt von Grundrechten in die Abwägung einzustellen sein. Bei der vorliegenden Problematik geht es um den Schnittpunkt von ärztlicher Verantwortlichkeit und Familiensphäre. Ermöglichen die Fortschritte der Medizin ärztliche Hilfeleistung in dem höchst privaten und von den Geschlechtspartnern autonom zu verantwortenden Bereich der Zeugung, kommt insbesondere dem Vertragshaftungs- und Deliktsrecht die Funktion zu, das hierdurch gefährdete Persönlichkeitsrecht von Eltern und Kind, die körperliche Unversehrtheit der Frau und die persönliche Selbstbestimmung der Eltern abzusichern. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen obliegt den Fachgerichten, die dabei auch berücksichtigen dürfen, daß die Eheleute einseitig mit dem Risiko eines ärztlichen Fehlers belastet würden, wenn schuldhaftes ärztliches Handeln in diesem Bereich weitgehend sanktionslos bliebe.[34] - Mit dieser Argumentation stellte der Erste Senat nicht die Verpflichtung der staatlichen Gewalt in Frage, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, relativierte aber die daraus zu ziehenden Konsequenzen. Dabei betonte er zweierlei: zum einen die ebenfalls zu berücksichtigenden grundrechtlich geschützten Positionen der anderen Seite, die der Zweite Senat in seinem Urteil von 1993 kategorisch zurückgestellt hatte, und zum anderen die Verantwortlichkeit der Fachgerichte für den Interessenausgleich durch Abwägung, von dem in den Ausführungen des Zweiten Senates hinsichtlich der Frage der Qualifizierbarkeit des Unterhaltsaufwandes als Schadensposten erst gar nicht mehr die Rede war. Die Sichtweise des Ersten Senates ist differenzierter, beruht aber auf einer Prämisse, die in seinem Beschluß auch offen angesprochen wird (wenn auch nicht als Prämisse): daß das unmittelbare Anknüpfen eines Schadensersatzanspruchs an die Existenz eines Menschen dessen Würde noch nicht notwendigerweise negiert; daß der Mensch damit noch nicht zu einem Objekt herabgewürdigt wird; daß darin noch keine Kommerzialisierung menschlichen Daseins liegt. "Die Anwendung des Schadensersatzrechts auf personale Beziehungen macht nicht den Menschen als Person oder seine unveräußerlichen Rechte zum Handelsgut. Ebensowenig enthält die - teilweise - Verlagerung der Unterhaltslast auf Dritte ein Unwerturteil über den jeweiligen Unterhaltsberechtigten."[35]
3) Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht[36] stand im Mittelpunkt eines Beschlusses vom 6. Mai 1997[37], der die zivilrechtliche Verurteilung der Mutter eines nichtehelichen Kindes zur Nennung der möglichen Väter zum Gegenstand hatte. Das Persönlichkeitsrecht schützt den engeren persönlichen Lebensbereich. Es umfaßt unter anderem das Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre.[38] Dazu gehören natürlich auch der familiäre Bereich und die persönlichen, auch die sexuellen Beziehungen zu einem Partner.[39] Das Grundrecht gewährleistet das Recht, selbst darüber zu entscheiden, wem gegenüber man welche persönlichen Lebenssachverhalte offenbart.[40] Soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung eingegriffen wird, sind Einschränkungen allerdings hinzunehmen, wenn sie im überwiegenden Allgemeininteresse oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter erfolgen und verhältnismäßig sind.[41] Solche Einschränkungen können auch die Geheimhaltung der sexuellen Beziehungen betreffen, denn selbst diese fallen nicht mehr in den absolut geschützten, unantastbaren Bereich, wenn aus ihnen eine dritte Person hervorgeht, deren eigene Persönlichkeitssphäre betroffen wird.[42] In diesem Falle geraten zwei vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte Güter in Konflikt, nämlich auf der einen Seite die Privat- und Intimsphäre der leiblichen Eltern und auf der anderen Seite das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung[43].
In dem zugrundeliegenden Fall war die Mutter eines nichtehelichen Kindes, die dessen leiblichen Vater nicht spezifizieren konnte, dazu verurteilt worden, die Namen und Adressen aller Männer anzugeben, mit denen sie während der Empfängniszeit sexuelle Beziehungen unterhalten hatte. Das Zivilgericht hatte den Auskunftsanspruch des Kindes im Wege einer vom Bundesverfassungsgericht als zulässig beurteilten[44] Rechtsfortbildung auf die Generalklausel des § 1618a des Bürgerlichen Gesetzbuches (= BGB) gestützt, nach der Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht schuldig sind. Dabei hatte es ergänzend auf das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung Bezug genommen, sowie ferner auf den Verfassungsauftrag zur Gleichstellung der nichtehelichen Kinder (Art. 6 Abs. 5 GG), der sich an den Gesetzgeber richtet, aber auch von den Gerichten bei der Rechtsanwendung zu berücksichtigen ist,[45] und schließlich auf den Schutz der ohne die Auskunft nicht durchsetzbaren Ansprüche (insbesondere des Erbersatzanspruches) des Kindes gegen seinen Vater durch das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG). Das Zivilgericht hatte sodann die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung mit den grundrechtlich geschützten Interessen der Mutter durchgeführt, dabei allerdings die Interessen der Mutter kategorisch hintenangestellt: Da die Durchsetzung der einen Rechtsposition nur durch Einschränkung der anderen möglich sei, müsse darauf abgestellt werden, wer das Aufeinandertreffen der verschiedenen Interessen zu vertreten habe, wobei eine Benachteiligung des nichtehelichen Kindes weitgehend zu vermeiden sei. Eine Entscheidung zugunsten der Mutter war danach kaum noch möglich, weil schließlich die Mutter immer das Aufeinandertreffen der Interessen zu vertreten hat. Der Einwand der Mutter, daß mehrere inzwischen verheiratete Männer als Vater in Betracht kämen, war zwar noch erörtert worden, hatte aber von vornherein wenig Chancen, das Ergebnis zu beeinflussen. Diese Lösung wurde jetzt vom Bundesverfassungsgericht beanstandet. Danach war hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mutter verletzt, weil das Zivilgericht zu ihren Lasten verkannt hatte, daß ihm für die Abwägung ein weiter Spielraum zur Verfügung stand.[46]
Das Bundesverfassungsgericht hob hervor, daß keines der betroffenen Grundrechte eine bestimmte Entscheidung zwingend vorgibt.[47] Ob ein Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes besteht, ist vielmehr vom Gesetzgeber oder subsidiär von den Gerichten bei der Wahrnehmung der staatlichen Aufgabe, die grundrechtlichen Rechtsgüter aktiv gegenüber jeglicher Bedrohung zu schützen (grundrechtliche Schutzpflichten[48]), in eigener Verantwortung zu entscheiden. Die Entwicklung und normative Umsetzung eines Schutzkonzeptes ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutze eines Rechtsgutes zu ergreifen.[49] Gleiches gilt, wenn mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers die Zivilgerichte im Wege der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder der Rechtsfortbildung die staatliche Schutzpflicht wahrnehmen[50] oder ein Organ der Exekutive diese Aufgabe übernimmt[51]. Eine Pflicht der staatlichen Organe zu einem bestimmten aktiven Handeln läßt sich aus den Grundrechten nur ausnahmsweise ableiten. Vor allem dort, wo widerstreitende Grundrechte zu berücksichtigen sind, wo der Schutz einer grundrechtlich gesicherten Position also zwangsläufig die Beeinträchtigung des Grundrechts eines Anderen zur Folge hat, bestehen Entscheidungsspielräume. Ähnliches gilt für den Gleichstellungsauftrag aus Art. 6 Abs. 5 GG.[52] - Diesen Entscheidungsspielraum hatte hier das Zivilgericht nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts verkannt, als es sich durch das Abstellen darauf, wer das Aufeinandertreffen der verschiedenen Interessen zu vertreten hat, den Weg einer umfassenden konkreten Interessenabwägung verbaute.[53]
Man könnte allerdings hinterfragen, ob das Zivilgericht mit seiner Rechtsfortbildung nicht gerade den ihm zur Verfügung stehenden Entscheidungsspielraum ausgenutzt hatte. Auch die Entscheidung, daß grundsätzlich unabhängig von den gegenläufigen Interessen der Mutter ein Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes bestehen soll - eben, weil die leiblichen Eltern die ganze Angelegenheit zu vertreten haben -, ist schließlich eine Entscheidung, die im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung erfolgen könnte. Der Ausgleich zwischen den widerstreitenden grundrechtlich geschützten Interessen wäre dann für den Normalfall bereits in dem allgemeinen, durch Rechtsfortbildung gewonnenen Rechtssatz vorweggenommen. Das Zivilgericht müßte lediglich im Einzelfall überprüfen, ob besonders schwerwiegende Gründe vorliegen, die in der vorweggenommenen Normalfallabwägung nicht berücksichtigt worden sind und ein Abweichen von der Grundentscheidung nahelegen. Im vorliegenden Fall könnte insoweit das kursorische Eingehen auf den Einwand der Mutter, daß mehrere inzwischen verheiratete Männer als Vater in Betracht kämen, ausreichen. Damit stellt sich wieder einmal das 1996 auf dem Juristentag in Karlsruhe[54] diskutierte Problem des Verhältnisses von Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit.[55]
4) Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG)
[1996]
Das 1994 in das Grundgesetz aufgenommene Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung beschäftigte das Bundesverfassungsgericht erneut. 1996 hatte es in einer stattgebenden Kammerentscheidung einen Beschluß des Oberverwaltungsgerichts (= OVG) Lüneburg aufgehoben, der einer behinderten Schülerin den vorläufigen Rechtsschutz gegen die Überweisung auf die Sonderschule[56] verwehrt hatte.[57] Dabei hatte es beanstandet, daß das OVG mit seinem nichtssagenden Hinweis auf "organisationsbedingte" Umstände an den allgemeinen Schulen, welche die erforderliche sonderpädagogische Förderung nicht zulassen würden, die Ausstrahlungswirkung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG auf die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts (hier: des Schulgesetzes des Landes Niedersachsen) und die daraus folgende erhöhte Begründungspflicht für die Überweisung eines behinderten Schülers auf die Sonderschule verkannt habe. Das OVG hatte in einem erneuten Beschluß in derselben Angelegenheit an seiner Entscheidung festgehalten. Dort hatte es die geforderte eingehende Begründung nachgeholt, sich im übrigen aber kritisch mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auseinandergesetzt.[58] Nach einer weiteren Verfassungsbeschwerde der betroffenen Schülerin hatte das Bundesverfassungsgericht zunächst die Wirkung des zweiten OVG-Beschlusses durch eine einstweilige Anordnung ausgesetzt.[59] In einem Beschluß vom 8. Oktober 1997.[60], entschied es schließlich, diesmal in einer Senatsentscheidung, endgültig über diese Angelegenheit. Es fehlte nicht an Kritik an den zum Teil als unzutreffend bewerteten Auffassungen des OVG von Inhalt und Bedeutung des Benachteiligungsverbotes.[61] Die Verfassungsbeschwerde blieb jedoch erfolglos, weil der zweite OVG-Beschluß jedenfalls im Ergebnis den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügte.
Das Bundesverfassungsgericht gründete sein Verständnis des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vor allem auf eine systematische Auslegung. Die Nachbarschaft der Regelung zu den Differenzierungsverboten in Abs. 3 S. 1 bringe zum Ausdruck, daß das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung ebenso wie jene den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) für bestimmte Personengruppen verstärken solle und der öffentlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgebe, als eine benachteiligende Ungleichbehandlung niemals auf eine Behinderung als Differenzierungsgrund gestützt werden dürfe. Die getrennte Regelung verdeutliche allerdings, daß dieses Verbot eine eigenständige Bedeutung habe. Dies hänge in der Sache damit zusammen, daß es sich bei einer Behinderung nicht um ein bloßes Anderssein handele, das sich für den Betroffenen erst im Zusammenwirken mit Einstellungen und Vorurteilen in der Bevölkerung nachteilig auswirke und mit deren Wandel seine nachteilige Wirkung wieder verlieren könne, sondern um eine Eigenschaft, welche die Lebensführung im Verhältnis zum Nichtbehinderten unabhängig von den gesellschaftlichen Auffassungen von vornherein schwieriger mache. Diese besondere Situation solle nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers weder zu gesellschaftlichen noch rechtlichen Ausgrenzungen führen. Deswegen untersage Art. 3 Abs. 3 S. 2 anders als S. 1 nur Benachteiligungen, während Bevorzugungen mit dem Ziel der Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten zwar nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich geboten, aber jedenfalls erlaubt seien. Als Benachteiligungen seien vor diesem Hintergrund nicht nur Maßnahmen anzusehen, welche die Situation des Behinderten unmittelbar verschlechtern, sondern auch der Ausschluß von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten, sofern er nicht durch spezielle Fördermaßnahmen kompensiert werde.[62]
Im Bereich des Schulwesens, das nach Art. 7 Abs. 1 GG staatlicher Hoheit unterstellt ist, trifft den Staat für behinderte Schüler eine besondere Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht sah ihn im Hinblick auf das aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Recht des Schülers auf möglichst ungehinderte Entwicklung seiner Persönlichkeit, Anlagen und Befähigungen[63], das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG)[64] und das Verbot der Benachteiligung Behinderter grundsätzlich verpflichtet, für Behinderte schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Dabei müssen einerseits Sondereinrichtungen unterhalten werden, darf aber andererseits die Möglichkeit eines gemeinsamen Schulbesuchs mit Nichtbehinderten, die nach dem gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand überwiegend positiv beurteilt wird, nicht generell ausgeschlossen werden. Allerdings darf der Gesetzgeber - wie in Niedersachsen geschehen - den gemeinsamen Schulbesuch unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und sachlich Möglichen stellen. Darin kommt lediglich zum Ausdruck, daß der Staat seine Aufgabe, ein begabungsgerechtes Schulsystem bereitzustellen, von vornherein nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten erfüllen kann.[65]
Allerdings muß die Schulbehörde bei der Entscheidung, welche Schule der Behinderte besuchen soll, neben dem Recht des Schülers auf eine seine Begabungen berücksichtigende Ausbildung (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Recht der Eltern, den Bildungsweg ihres Kindes im Rahmen dessen Eignung grundsätzlich frei zu bestimmen (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) weitere Bindungen beachten, die sich aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG ergeben.[66] Das Bundesverfassungsgericht folgte dem OVG insoweit, als es einräumte, daß eine Überweisung auf die Sonderschule gegen den Willen des Betroffenen und seiner Eltern nicht schon für sich unzulässig ist. Anders als vom OVG angenommen,[67] wird das Grundrecht aber nicht nur dann verletzt, wenn ein Schüler wegen seiner Behinderung in die Sonderschule "abgeschoben" wird, obwohl er für die normale Schule geeignet ist. Eine verbotene Benachteiligung liegt auch dann vor, wenn der Besuch der normalen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung (an der normalen Schule) ermöglicht werden könnte, insbesondere wenn die dafür benötigten personellen und sachlichen Mittel bereits vorhanden sind und organisatorische Schwierigkeiten oder schutzwürdige Belange anderer Schüler nicht entgegenstehen.[68]
Die Schulbehörde hat die Umstände des Einzelfalles in einer Gesamtbetrachtung eingehend und gerichtlich nachvollziehbar zu würdigen. Im Lichte des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG unterliegt sie - vor allem, wenn sie von den Empfehlungen beratender Gutachter und Kommissionen abweichen will - einer gesteigerten Begründungspflicht. In der Begründung sind alle Gesichtspunkte substantiiert darzulegen, deren Berücksichtigung Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verlangt, inbesondere die Art und Schwere der Behinderung, die Gründe für die behördliche Einschätzung, daß Erziehung und Unterrichtung am besten in einer Sonderschule gewährleistet seien, organisatorische, personelle oder sachmittelbedingte Schwierigkeiten an der normalen Schule sowie die Gründe, warum diese dort nicht überwunden werden können. Außerdem muß auf die entgegengesetzten Erziehungwünsche des Behinderten und seiner Eltern eingegangen werden.[69]
Das Bundesverfassungsgericht wandte sich schließlich gegen die Vorstellung des OVG, die Wirkung des Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG werde im Schulbereich durch die staatliche Schulhoheit (Art. 7 Abs. 1 GG) begrenzt.[70] Als Grundrecht bindet diese Norm wie alle Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die gesamte staatliche Gewalt in allen Bereichen. Es wird also nicht die Reichweite des Benachteiligungsverbotes durch die staatliche Schulhoheit beschränkt, sondern umgekehrt der staatliche Handlungsspielraum auf dem Gebiet des Schulwesens durch das Benachteiligungsverbot.[71]
5) Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG)
Die Berufsfreiheit stand im Mittelpunkt einer Entscheidung zu den obligatorischen Warnhinweisen auf Tabak- und Zigarettenpackungen[72]. Allen Rauchern und wohl auch den meisten Nichtrauchern sind sie bekannt: die im auffälligen Kontrast zur Werbung stehenden, kaum zu übersehenden Hinweise "Die EG-Gesundheitsminister: Rauchen gefährdet die Gesundheit" bzw. "... Rauchen verursacht Krebs" oder "... Rauchen verursacht Herz- und Gefäßkrankheiten" auf der Tabak- oder Zigarettenpackung. Sie gehen auf eine EG-Richtlinie zurück,[73] wurden aber unmittelbar erst durch eine nationale Rechtsverordnung veranlaßt, die in Ausführung dieser Richtlinie den Vertrieb der Tabakerzeugnisse ohne solche Hinweise untersagt. Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde einiger Unternehmen aus der Tabakbranche war zulässig, weil sie sich gegen die deutsche Verordnung und damit gegen eine Maßnahme der deutschen und nicht der europäischen öffentlichen Gewalt richtete.[74]
Allerdings erwies sich die Verfassungsbeschwerde als nicht begründet. Auf die schwierige Frage, bis zu welchem Grade die nationalen Grundrechte noch Maßstab für die verfassungsgerichtliche Überprüfung einer nationalen Vorschrift sein können, wenn diese in Ausführung von Recht der Europäischen Union erlassen wird und wegen geringer Spielräume, die dieses läßt, kaum anders ausfallen könnte,[75] ging das Bundesverfassungsgericht hier nicht näher ein. Es brauchte dies nur deswegen nicht, weil hier jedenfalls auch die Anforderungen, welche die nationalen Grundrechte stellen, erfüllt waren:
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1, 1. Halbsatz GG), das auch das Recht umfaßt, seine Meinung nicht zu äußern und eine fremde Meinung nicht als eigene verbreiten zu müssen (negative Meinungsfreiheit),[76] ist bei den obligatorischen Warnhinweisen nicht berührt, denn der Staat verlangt den Tabakunternehmen keine eigene Meinungsäußerung in Form einer eigenen Warnung vor den Gesundheitsgefahren des Rauchens ab, sondern nur die Wiedergabe einer erkennbar fremden Meinung, nämlich jener der "EG-Gesundheitsminister". Damit nimmt er lediglich die Produktverpackungen begrenzt für seine Zwecke in Anspruch, ohne aber die Werbung im übrigen zu beeinträchtigen. Eine solche Maßnahme berührt vielmehr als Eingriff in die freie Berufsausübung den Schutzbereich der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und ist nach der für dieses Grundrecht entwickelten sogenannten "Stufentheorie" des Bundesverfassungsgerichts[77] als Eingriff auf niedrigster Stufe dann verfassungsmäßig, wenn sie durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, also zum Erreichen des verfolgten Zweckes geeignet und erforderlich ist und den Betroffenen nicht unzumutbar belastet.[78] Dabei liegt der hoheitliche Eingriff nicht nur darin, daß der Staat für einen Teil der Verpackung eine bestimmte Gestaltung vorschreibt, sondern auch darin, daß er mit seinen Warnhinweisen, die auf die Autorität und das Vertrauen in den Staat aufbauen, Hoheitsgewalt - mit nachteiliger Wirkung für die Unternehmen der Tabakindustrie - ausübt.[79]
Die Warnhinweise lassen sich allerdings auf ausreichende Gründe des Gemeinwohls stützen. Das Bundesverfassungsgericht legte dar, daß nach heutigem medizinischen Kenntnisstand allgemein anerkannt ist, daß Rauchen gesundheitsschädlich ist. Die Warnung vor Gesundheitsgefahren aber gehört zu den legitimen Aufgaben des Staates. Zweifel an der Geeignetheit bestehen ebenfalls nicht, auch wenn der Zigarettenkonsum trotz der Warnhinweise zugenommen hat. Die Einschätzung des Gesetzgebers, daß mit den Hinweisen eine noch größere Ausweitung des Tabakkonsums verhindert werden könne, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Warnungen sind geeignet, den Verbraucher zumindest von einem bedenkenlosen Konsum von Tabak abzuhalten.[80]
Die Warnhinweise sind auch erforderlich. Gegenüber anderen möglichen Maßnahmen zum Schutze gegen die vom Rauchen ausgehenden Gefahren wie Kennzeichnungspflichten nach der Gefahrstoffverordnung oder Einschränkungen des Vertriebs (etwa Verbot des Automatenvertriebes oder des Verkaufs an Jugendliche) erscheinen sie als das mildere Mittel. Schließlich berühren sie offensichtlich[81] noch nicht die Grenze des Zumutbaren, zumal sie die werbende erwerbswirtschaftliche Tätigkeit der Tabakindustrie weiterhin erlauben und dem Konsumenten lediglich eine medizinische Wissensgrundlage für seine Kaufentscheidung überbringen. Daß dabei die private Organisations- und Finanzkraft der Tabakindustrie für die staatliche Aufgabe der Gesundheitspolitik in Dienst genommen wird, rechtfertigt sich aus der besonderen Sach- und Verantwortungsnähe jener Unternehmen zur Aufgabe des Schutzes vor Gefährdungen durch einen Tabakkonsum, den sie selbst veranlassen.[82]
6) Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG)
Mit einer Entscheidung zur Gültigkeitsdauer richterlicher Durchsuchungsanordnungen [83] verfeinerte das Bundesverfassungsgericht die Dogmatik zum Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG). Durchsuchungen im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens berühren dieses Grundrecht, wenn es sich bei den durchsuchten Räumlichkeiten um Wohnräume oder nicht der Öffentlichkeit zugängliche Geschäfts- oder Betriebsräume handelt. Das Bundesverfassungsgericht faßt anders als der Europäische Gerichtshof für das gleiche Grundrecht nach dem Gemeinschaftsrecht[84] alle Räumlichkeiten, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Lebens gemacht sind, und damit auch nichtöffentliche gewerblich genutzte Räume unter den Begriff der "Wohnung".[85] Deswegen konnte sich ein Arzt, dessen Arztpraxis wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges nach einschlägigen Unterlagen durchsucht worden war, auf das Grundrecht aus Art. 13 GG berufen.
Nach Art. 13 Abs. 2 GG dürfen Durchsuchungen außer bei Gefahr im Verzuge nur durch den Richter angeordnet werden. Dadurch wird der durch Art. 13 GG bezweckte Schutz der räumlichen Lebenssphäre des Bürgers noch verstärkt. Damit diese Klausel nicht faktisch leerläuft, darf der Richter, wie das Bundesverfassungsgericht jetzt klarstellte, nur dann eine Durchsuchung anordnen, wenn er sich durch eigenverantwortliche Prüfung der Ermittlungen selbst davon überzeugt hat, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist, das heißt erfolgversprechend (geeignet), ohne mildere Alternativen (erforderlich) und der Schwere der Straftat und der Stärke des Tatverdachts angemessen. Außerdem muß er durch geeignete Formulierungen in seinem Beschluß sicherstellen, daß der Grundrechtseingriff angemessen begrenzt wird und berechenbar bleibt. Die richterliche Durchsuchungsanordnung muß also die Grundlage für die konkrete Maßnahme schaffen und daher Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren.[86]
Der Zweck des Richtervorbehaltes begrenzt auch den Zeitraum, innerhalb dessen die Durchsuchungsanordnung vollzogen werden darf. Die vorbeugende richterliche Kontrolle sichert nur dann einen wirksamen Grundrechtsschutz, wenn der Richter die geplante Maßnahme in ihren konkreten, gegenwärtigen Voraussetzungen beurteilt. Je mehr Zeit zwischen Anordnung und Ausführung liegt, um so wahrscheinlicher wird es, daß inzwischen eingetretene Ereignisse der richterlichen Entscheidung ihre Grundlage entziehen oder diese doch wesentlich verändern. Die Beurteilung einer noch offenen Entwicklung ist indessen nicht Aufgabe des Richters. Art. 13 Abs. 2 GG läßt es zwar zu, vom Vollzug einer Durchsuchungsanordnung vorläufig abzusehen, erlaubt es aber nicht, daß die Staatsanwaltschaft sich solche Anordnungen auf Vorrat besorgt oder vorrätig hält.[87]
Wie lange eine richterliche Anordnung eine konkrete Durchsuchung trägt, richtet sich, solange eine gesetzliche Regelung fehlt, nach der Art des Tatverdachts, der Schwierigkeit der Ermittlungen und den sonstigen Besonderheiten des Falles, aber auch nach der Dauerhaftigkeit der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß sich ein Tatverdacht auch ohne die Durchsuchung erhärten oder zerstreuen kann oder die gesuchten Beweismittel möglicherweise entbehrlich werden oder nicht mehr in der Wohnung zu vermuten sind. Als absolute Grenze setzte das Bundesverfassungsgericht den Zeitraum von sechs Monaten. Nach Ablauf dieser Frist hat der Durchsuchungsbeschluß "seine rechtfertigende Kraft verloren" und tritt damit - von Verfassungs wegen, das heißt auch ohne gesetzliche Regelung - außer Kraft.[88]
7) Recht auf effektiven Rechtschutz gegen die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG)
In einer Entscheidung, die am Rande ebenfalls das Grundrecht aus Art. 13 GG betraf, korrigierte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Problem der prozessualen Überholung bei vollzogenen richterlichen Durchsuchungsanordnungen.[89] Gegen die Anordnung des Richters kann sich der Betroffene nach § 304 der Strafprozeßordnung mit dem Rechtsmittel der Beschwerde zur Wehr setzen. In den meisten Fällen läßt sich die Durchsuchung damit aber nicht mehr abwenden, weil die richterliche Anordnung alsbald vollzogen wird. Bis über die Beschwerde entschieden werden kann, ist die Durchsuchung zumeist schon abgeschlossen und der darin liegende Grundrechtseingriff damit beendet. Das hatte die Strafgerichte veranlaßt, solche Beschwerden regelmäßig wegen mangelnden Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Praxis in einer Entscheidung von 1978[90] für verfassungsgemäß erklärt. Unter Hinweis auf vielfältige Kritik in der Literatur distanzierte es sich jetzt ausdrücklich von seiner früheren Auffassung und bewertete die Beschwerdeabweisung wegen prozessualer Überholung als Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG)[91].
Effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG setzt nicht notwendigerweise einen Instanzenzug voraus.[92] Ist aber nach dem Prozeßrecht eine weitere Instanz eröffnet, so muß auch im Rahmen dieser Instanz eine wirksame gerichtliche Kontrolle gewährleistet sein. Das Rechtsmittelgericht darf ein nach dem jeweiligen Prozeßrecht vorgesehenes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Rechtsmittelführer "leerlaufen" lassen.[93] Von diesen Prämissen müssen sich die Gerichte leiten lassen, wenn sie im Einzelfall untersuchen, ob für ein nach der Prozeßordnung statthaftes Rechtsmittel das erforderliche Rechtsschutzinteresse besteht. Das schließt nicht aus, ein Rechtsschutzinteresse grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn das Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich abgeschlossenen Eingriff zu beseitigen. Handelt es sich aber um einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff, ist ein Rechtsschutzinteresse auch dann anzuerkennen, wenn sich die direkte Belastung durch den Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung bereitgestellten Instanz kaum erlangen kann. Ein solcher "tiefgreifender Grundrechtseingriff" soll vor allem dann in Betracht kommen, wenn das Grundgesetz die Anordnung vorbeugend dem Richter vorbehalten hat; zur Fallgruppe jener mit vorzeitiger Beendigung gehören gerade die Wohnungsdurchsuchungen aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung.[94] - Wichtig ist in diesem Zusammenhang noch ein gleichermaßen pragmatisches wie dogmatisches Argument: Die Durchsetzung der Grundrechte obliegt primär den Fachgerichten.[95] Einer Lösung, bei welcher der Bürger erst (und damit nur) im Wege der Verfassungsbeschwerde effektiven Grundrechtsschutz erhalten kann, steht die grundgesetzliche Funktionenteilung zwischen Fachgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit entgegen.[96]
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[1] Siehe dazu bereits die Chroniken für 1995 und 1996, ERPL/REDP, Vol. 8 (1996), Nr. 4, S. 1263 f. und Vol. 10 (1998), Nr. 1, S. 209; aus der neuesten Literatur Lamprecht, Neue Juristische Wochenschrift (= NJW) 1997, 2219.
[2] Abrufbar [1998] beim Bundesministerium der Justiz unter http://www.bmj.bund.de (Rubrik Mitteilungen); siehe dazu auch Faupel, Neue Justiz 1998, 57.
[3] Siehe 1. Abschnitt, Teil B des Berichts. Die Bundesrepublik war 1997 erstmals wegen überlanger Verfahrensdauer vor dem Bundesverfassungsgericht vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (= EGMR) wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verurteilt worden, siehe EGMR, Urteile vom 1. Juli 1997, Pammel v. Deutschland, Europäische Grundrechte-Zeitschrift (= EuGRZ) 97, 310 und Probstmeier v. Deutschland, NJW 1997, 2809.
[4] Vgl. 1. Abschnitt, Teil B des Abschußberichts.
[5] Viele wichtige Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts werden mittlerweile von verschiedenen Stellen im Internet veröffentlicht, darunter auch einige der hier besprochenen. Eine hervorragende Übersicht findet sich unter http://www.uni-wuerzburg.de/dfr [jetzt: http://www.servat.unibe.ch/dfr/dfr_bverfg.html] (Internetprojekt Deutsches Fallrecht [DFR], ehemals German Case Law [GLAW]). Dort wird der Entscheidungstext sogar zumeist zusammen mit der Seitenzahl aus der Entscheidungssammlung präsentiert. Häufig lassen sich bestimmte Entscheidungen auch schon dadurch finden, daß man die Fundstelle in der Sammlung (also etwa "BVerfGE 95, 335") oder auch nur den Entscheidungsband (z.B. "BVerfGE 95") als zusammenhängendes Stichwort im Suchprogramm eingibt. [Außerdem veröffentlicht mittlerweile das Bundesverfassungsgericht selbst seine aktuellen Entscheidungen unter "http://www.bverfg.de".]
[6] BVerfGE 96, 68 (= Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, zitiert nach Band und Seitenzahlen, hier also: 96. Band, Beginn der zitierten Entscheidung auf S. 68); siehe dazu Geburtig, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1997, Nr. 29.
[7] Vgl. BVerfGE 96, 68 (86 ff.).
[8] BVerfGE 96, 345 [zweite Quelle] = NJW 1998, 1296 = Juristenzeitung (= JZ) 1998, 615 = Deutsches Verwaltungsblatt (= DVBl.) 1998, 390 = EuGRZ 1998, 53; siehe dazu auch die Anmerkungen von Hain, JZ 1998, 620 und Lange, NJW 1998, 1278.
[9] Art. 142 GG nennt im Wortlaut nur die Grundrechte aus Art. 1 - 18 GG, wird aber im Hinblick auf den Regelungzweck so interpretiert, daß dasselbe auch bei Übereinstimmung mit den anderen grundgesetzlich gewährleisteten Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten (z.B. aus Art. 19 Abs. 4, 101, 103 f. GG) gelten soll; vgl. von Münch, in: derselbe/Kunig (Herausgeber), Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3. Auflage 1996, Art. 142 Randnummer (= Rdnr.) 10 mit weiteren Nachweisen; BVerfGE 22, 267 (271) und jetzt auch BVerfGE 96, 345 (364 f.) mit weiteren Nachweisen.
[10] Vgl. jetzt BVerfGE 96, 345 (365).
[11] Siehe die Nachweise bei Hain, JZ 1998, 620 und Zierlein, Archiv des öffentlichen Rechts (= AöR), Band 120 (1995), 205 (209 f.).
[12] Das Bundesverfassungsgericht hatte die Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden, war aber in zwei älteren Entscheidungen (BVerfGE 22, 267, 270 f.; 36, 342, 368) ohne nähere Begründung davon ausgegangen, daß die Landesverfassungsgerichte die zivilprozessualen Entscheidungen der Gerichte des Landes am Maßstab der nach Art. 142, 31 GG geltenden Landesgrundrechte überprüfen dürfen.
[13] Vgl. etwa Hessischer Staatsgerichtshof, Beschlüsse vom 1.4.1981 (P.St. 928) und 2.9.1982 (P.St. 950); weitere Nachweise - auch zur Praxis der anderen Landesverfassungsgerichte - in BVerfGE 96, 345 (353 f.). Die extreme Gegenposition vertritt der Berliner Verfassungsgerichtshof (NJW 1993, 513, 514; 1993, 515, 517; 1994, 436, 437 f.; 1995, 1344 ff; DVBl. 1994, 1189 ff.), der eine Überprüfung am Maßstab aller inhaltlich übereinstimmenden Landesgrundrechte für zulässig erachtet (kritisch dazu Starck, JZ 1993, 231 ff.; Wilke, NJW 1993, 887, 888 f.).
[14] Staatsgerichtshof des Freistaates Sachsen, NJW 1996, 1736.
[15] Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liegt die Vorstellung zugrunde, daß sich zwischen Norm (-setzung) und Normanwendung und folglich auch zwischen (unzulässiger) Normenkontrolle und (zulässiger) Normanwendungskontrolle klar unterscheiden läßt, daß es also zumindest in bestimmten Fallgruppen eine Eigenständigkeit der Normanwendung gegenüber der Norm gibt, die auch zu einer eigenständigen Verantwortung des Normanwenders für den Schutz der Grundrechte führt, vgl. BVerfGE 96, 345 (366 ff.) sowie die Erläuterungen bei Hain, JZ 1998, 620 (621 f.).
[16] BVerfGE 96, 345 (363, 371).
[17] Vgl. BVerfGE 96, 345 (363, 371 f.).
[18] BVerfGE 96, 345 (365).
[19] BVerfGE 96, 345 (372 ff.).
[20] BVerfGE 96, 345 (374 f.).
[21] Vgl. Hain, JZ 1998, 620 (621).
[22] Vgl. insbes. Lange, NJW 1998, 1278 (1279).
[23] BVerfGE 96, 375 = JZ 1998, 352 = NJW 1998, 519; siehe dazu auch die Besprechungen von Stürner, JZ 1998, 317 und Brandner, Humboldt Forum Recht (= HFR) 1-1998 sowie den Kommentar von Deutsch, NJW 1998, 510; ferner Vranken, Nederlands juristenblad 1998, 990.
[24] BVerfGE 88, 203; siehe dazu bereits Püttner, ERPL/REDP, Vol. 7 (1995), Nr. 1, S. 131 (136 f.).
[25] BVerfGE 88, 203 (296).
[26] BVerfGE 96, 409 = JZ 1998, 356 = NJW 1998, 523; siehe auch dazu die Beiträge von Stürner und Deutsch. Der Beschluß nannte zwar die Aktenzeichen des Verfahrens vor dem Ersten Senat, war aber nicht von diesem durch Aufforderung des Zweiten Senates zur Stellungnahme veranlaßt worden.
[27] Vgl. BVerfGE 96, 409 (410) mit weiteren Nachweisen.
[28] Vgl. BVerfGE 96, 409 (411 ff.).
[29] Vgl. Deutsch, NJW 1998, 510 sowie die Nachweise in BVerfGE 96, 375 (406).
[30] Siehe BGHZ 124, 128 (= Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, zitiert nach Band und Seitenzahlen) = NJW 1994, 788 = JZ 1994, 305.
[31] Während der Zweite Senat darauf abstellen wollte, ob der zuerst erkennende Senat - subjektiv - die betreffende Rechtsauffassung seinerzeit für tragend erachtete (vgl. BVerfGE 96, 409, 410), ist nach Ansicht des Ersten Senats von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen. Es komme nicht darauf an, ob den Richtern bestimmte Rechtsauffassungen wichtig erschienen, sondern ob sie erkennbar im Begründungszusammenhang für die Entscheidung des Falles erheblich geworden seien (BVerfGE 96, 375, 404). Eine förmliche Auseinandersetzung mit dem verfahrenslosen Beschluß des Zweiten Senates vom 22. Oktober lehnte der Erste Senat ab (BVerfGE 96, 375, 403).
[32] Die Zivilgerichte hatten zum Mittel der Rechtsfortbildung gegriffen, weil gesetzliche Regelungen zur Problematik nicht vorhanden waren.
[33] BVerfGE 96, 375 (394 ff.).
[34] BVerfGE 96, 375 (398 f.).
[35] BVerfGE 96, 375 (400).
[36] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein Teilbereich des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), dessen Gehalt sich erst aus dem Zusammenhang mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) ergibt; siehe dazu bereits die Chroniken für 1994 und 1996, ERPL/REDP, Vol. 7 (1995), Nr. 4, S. 1127 ff. und Vol. 10 (1998), Nr. 1, S. 217.
[37] BVerfGE 96, 56 = JZ 1997, 777 = NJW 1997, 1769 = EuGRZ 1997, 258; siehe dazu auch die Anmerkung von Starck, JZ 1997, 779.
[38] Vgl. BVerfGE 89, 69 (82 f.).
[39] Vgl. bereits BVerfGE 27, 344 (350 f.).
[40] Vgl. bereits BVerfGE 65, 1 (43 f.).
[41] Vgl. bereits BVerfGE 65, 1 (44).
[42] BVerfGE 96, 56 (61).
[43] Siehe zu letzterem bereits BVerfGE 79, 256; 90, 263 sowie die Chronik für 1994, ERPL/REDP, Vol. 7 (1995), Nr. 4, S. 1128.
[44] Vgl. BVerfGE 96, 56 (62).
[45] BVerfGE 96, 56 (65).
[46] BVerfGE 96, 56 (63).
[47] Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung entfaltet also keine Drittwirkung gegen die Mutter, die diese unmittelbar zur Auskunft verpflichten würde, vgl. Starck, JZ 1997, 779.
[48] Siehe dazu bereits die Chronik für 1995, ERPL/REDP, Vol. 8 (1996), Nr. 4, S. 1267 ff.
[49] Ständige Rechtsprechung, vgl. vor allem BVerfGE 88, 203 (262).
[50] Vgl. bereits BVerfGE 84, 212 (226 f.).
[51] Vgl. bereits BVerfGE 46, 160 (164).
[52] BVerfGE 96, 56 (63 ff.).
[53] BVerfGE 96, 56 (65).
[54] Vgl. die Verhandlungen des 61. Deutschen Juristentages, Band II (Sitzungsberichte), 1997; außerdem Starck, JZ 1996, 1033; Berkemann, DVBl. 1996, 1028 und Roth, AöR 121 (1996), 544.
[55] Vgl. auch die dahingehende Kritik bei Starck, JZ 1997, 779 (780).
[56] Spezialisierte Schule für Schüler, die wegen körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen im Sozialverhalten einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen.
[57] BVerfG NJW 1997, 1062 = JZ 1996, 1073; siehe dazu die Chronik für 1996, ERPL/REDP, Vol. 10 (1998), Nr. 1, S. 226 ff.
[58] OVG Lünbeburg, NJW 1997, 1087 ff.; vgl. auch dazu die Chronik für 1996.
[59] BVerfG, NJW 1997, 1844.
[60] BVerfGE 96, 288 [Entscheidung/Pressemitteilung] = NJW 1998, 131 = DVBl. 1997, 1432.
[61] Vgl. im einzelnen BVerfGE 96, 288 (311 ff.).
[62] BVerfGE 96, 288 (302 f.).
[63] Vgl. dazu bereits BVerfGE 45, 400 (417).
[64] Warum sich aus dem elterlichen Erziehungsrecht, das in erster Linie ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe darstellt, eine staatliche Verpflichtung zur Schaffung bestimmter Einrichtungen ergeben soll, wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht näher erläutert.
[65] BVerfGE 96, 288 (303 ff.); vgl. zum letzteren bereits BVerfGE 34, 165 (183 f.).
[66] BVerfGE 96, 288 (306).
[67] OVG Lüneburg, NJW 1997, 1087 (1088).
[68] BVerfGE 96, 288 (307, 312).
[69] BVerfGE 96, 288 (310).
[70] Vgl. OVG Lüneburg, NJW 1997, 1087 (1089).
[71] BVerfGE 96, 288 (313).
[72] BVerfGE 95, 173 [zweite Quelle] [dritte Quelle] = NJW 1997, 2871; siehe dazu auch die Besprechung von Di Fabio, NJW 1997, 2863.
[73] Vgl. Art. 4 und den Anhang der Richtlinie 89/622/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen vom 13. November 1989 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 359, S. 1), geändert durch die Richtlinie 92/41/EWG vom 15. Mai 1992 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 158, S. 30).
[74] Vgl. BVerfGE 95, 173 (180).
[75] Vgl. aus der bisherigen Rechtsprechung BVerfGE 37, 271 (Solange I), 73, 339 [zweite Quelle] (Solange II) und 89, 155 [zweite Quelle] (Maastricht-Urteil).
[76] Schultze-Fielitz, in: H. Dreier (Herausgeber), Grundgesetz, Band 1, 1996, Art. 5 I, II Rdnr. 54 mit weiteren Nachweisen; Pieroth/Schlink, Grundrechte. Staatsrecht II, 13. Auflage 1997, Rdnr. 559; vgl. auch BVerfGE 57, 170 (192); 65, 1 (40).
[77] Siehe dazu die Chronik für 1996, ERPL/REDP, Vol. 10 (1998), Nr. 1, S. 236.
[78] Vgl. grundlegend BVerfGE 7, 377 (sogenannte Apotheken-Entscheidung).
[79] Vgl. BVerfGE 95, 173 (184).
[80] BVerfGE 95, 173 (184 f.).
[81] BVerfGE 95, 173 (187).
[82] BVerfGE 95, 173 (186 f.).
[83] BVerfGE 96, 44; siehe dazu auch die Anmerkung von Cirener, Juristische Rundschau 1997, 386.
[84] Vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.9.1989, Verbundene Rechtssachen 46/87 und 227/88, Hoechst, Sammlung 1989, 2859 (Erwägungen Nr. 17 ff.).
[85] Ständige Rechtsprechung, vgl. bereits BVerfGE 32, 54 (68 ff.); 42, 212 (219 ff.); 44, 353 (371); 76, 83 (88). Das Bundesverfassungsgericht stützt sich dabei ebenso wie der Europäische Gerichtshof auch auf rechtsvergleichende Betrachtungen, siehe BVerfGE 32, 54 (69 f.).
[86] BVerfGE 96, 44 (51 f.).
[87] BVerfGE 96, 44 (52 f.).
[88] Vgl. BVerfGE 96, 44 (53 ff.).
[89] Siehe BVerfGE 96, 27 sowie dazu die Anmerkungen von Fezer, JZ 1997, 1062 und Amelung, Juristische Rundschau 1997, 382.
[90] BVerfGE 49, 329 (337 ff.).
[91] Siehe zu diesem Grundrecht bereits die Chronik für 1996, ERPL/REDP, Vol. 10 (1998), Nr. 1, S. 244 ff.
[93] Vgl. bereits BVerfGE 78, 88 (99).
[94] BVerfGE 96, 27 (39 f.).
[96] Vgl. BVerfGE 96, 27 (40) in ausdrücklicher Abweichung von BVerfGE 49, 329 (343).
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